Was waren das für geruhsame und geordnete Zeiten: hier das System Sport und dort das System Medien. Bei den Aktiven waren schneller, höher und weiter gefragt, natürlich auch Sieg oder Niederlage, Championat und Weltmeister - bei den Journalisten galt die Informationsfunktion als Nr. 1, ihre Rolle und Funktion als Übermittler und Bewerter des Sports blieb lange Jahre unangetastet. Diese beschauliche, kumpelhafte und bisweilen freundschaftliche Situation zwischen Athlet und Journalist bekam eine erste tiefgreifende Veränderung mit dem Aufkommen privatrechtlicher Hörfunk- und TV-Anbieter 1984, als plötzlich die Konkurrenzsituation zwischen den Medien und Journalisten die traditionelle Rollenverteilung störte. Aktualität wurde mit oberflächlicher Schnelligkeit verwechselt, Analyse und Hintergrund weitgehend ausgeblendet und die Show, das Unterhaltungselement in den Vordergrund gedrängt. Die Sportler stellten sich rasch auf diese Situation ein - zumindest die Profis - und lernten, mit den vielzähligeren Medien umzugehen. Auch das Aufkommen des Handys mit der Möglichkeit des "geheimen" Kontakts zu den Aktiven veränderte die Sport-Medien-Szene: aus ehemals zwei unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilbereichen wurde mehr und mehr eine Liason, eine Symbiose von Sport und Medien.
Heutzutage schmunzeln die "digital natives" über solche Anekdoten. Das Internet (1994) mit den sozialen Netzwerken wie facebook, twitter, instagram und anderen lassen die Sportler zu Kommunikatoren werden, häufig zu Laien-Journalisten, die in Konkurrenz und Kontrolle zum traditionellen Sportjournalismus vorhanden sind. Mittlerweile nehmen die etablierten Sportmedien gerne die Äußerungen der Sportler in den sozialen Netzwerken auf und machen iherrseits eine Nachricht daraus. Der Sportler ist nunmehr nicht länger einzig Objekt der publizistischen Begierde, sondern pflegt seine eigene, subjektive Öffentlichkeitsarbeit. Damit sind die vormals unterschiedlichen Systeme endgültig durcheinander gekommen und neue Formen der Kommunikation werden überhaupt erst durch die neuen Technologien denkbar. Aus kritischer Distanz ist emotionale Nähe geworden. Der Sport als Wirtschaftsgut und der Sportler als Ware, die Medien als PR-Instrument der von ihnen erworbenen Rechte!
Sport ist mehr, der Sportjournalismus facettenreicher! Neue Medien bieten auch neue Chancen - noch nie waren die Sportkonsumenten umfangreicher und intensiver informiert und unterhalten als heute. Der Sport insgesamt ist auch nicht schlechter geworden, ganz im Gegenteil. Gilt das auch für den Sportjournalisten? Einst als Außenseiter der Redaktion beschrieben, dann als Aufsteiger gefeiert - was sind sie heute: die Absteiger? Werden sie gar auf Dauer überflüssig und von PR-Agenturen ersetzt? Greifen Google und Microsoft endgültig in den Weltsport ein? Und was ist dann die Rolle der Sportler: noch schwerer als heute mediales Interesse zu finden und der verzweifelte Versuch, sich selbst zu artikulieren?
Aktiv Sport treiben, passiv Sport konsumieren und kommunikativ den Sport zu pflegen - das ist im Alltag der meisten Menschen die Freizeitbeschäftigung Nr. 1. Auch diese Themen gehören in den Sportjournalismus, nicht nur Sieg, Glamour, Geld und Macht! Sport ist nicht die herrlichste Nebensache der Welt, sondern zentraler Bestandteil unserer Gesellschaft. Viele Sportler, längst nicht alle, profitieren von dieser Entwicklung und übrigens: die Medien auch.
Author:
Prof. Dr. Dr.h.c. Josef Hackforth (67)
em. Ordinarius TU München / Honorarprofessor Munich Business School / Leiter Audi Institut für Sportkommunikation